Würzburger Geschichten – Haarige Sache in der Semmelstraße

Heutzutage ist der Gang zum Friseur, zum Stylen der Haare unglaublich in. Ich weiß nicht genau wie viele Friseurläden in der Theaterstraße wie Pilze aus dem Boden gewachsen sind. Der Besuch beim Barber gehört bei dem starken Geschlecht heute zum guten Ton und das vielleicht mehrmals im Monat. Das färbt ab. Grundschüler und Kindergartenkinder wie Justin, Jonas, Maximilian, Ben, Noah, Louis, Henri und Felix sind haarmäßig voll trendy. Haargel ist in. Früher hätte man dies als übertriebene Eitelkeit abgetan. Das heißt nicht, dass es den Gang zum Friseur nicht gab. Es gab ihn. Und zwar äußerst widerwillig, denn es war nur notwendige Pflichterfüllung.

Die Semmelstraße heute

Ich hasste den Gang über die Semmelstraße in den Hinterhof von „Laufstil“. Dort befand sich ein unscheinbares Friseurgeschäft. Inhaber war Herr Eberhard (wenn ich mich noch recht entsinne!). Nicht mehr der Jüngste, mit lichtem blonden Haar. Seine Hände wiesen schon Altersflecken auf. Ihm zur Seite gesellte sich ein eher mollig zu nennendes, weitaus jüngeres, rotblondes weibliches Wesen. Seine Frau. Betrat man das Geschäft, wurde man sofort, erhöht durch ein Stühlchen, in den Friseursessel gesetzt.

Der Prozedur des Haarschnittsder Rabboalso minimal langes Haar (fränkisch)

Und die Prozedur begann ad hoc: Friseurkittel rum, dazu um den Hals so ein Papierband, das einen den Atem nahm und kratzte. Es sollte glaube ich verhindern, dass einem Haare unters Hemd gelangten. Quasi eine Haarbremse. Nun holte er ein mit Wasser gefülltes Spritzfläschlein hervor und besprühte einem das ganzen Kopfhaar. Verdunstungskälte kam auf. Das ersetzte die Wäsche. Kamm oder Bürste gezückt und Haare glatt gestrichen. Elektrischer Haarschneider raus. Rundherum, von rechts nach links und wieder zurück. Rabbo. Mit der Schere bzw. mit dem Rasierer noch etwas nachjustieren. Zum Schluss wurden mit einem stinkigen Pinsel die restlichen abgeschnittenen Haare zu Boden befördert und die Nackenpartie mit irgendeinem Puder eingestäubt. Zeichen dafür, dass die Tortur ein Ende hatte. Halsband runtergerissen. Kittelschürze raus. Bezahlt und raus aus dem Laden. Draußen dann das Gefühl, als wenn es um fünf Grad kälter geworden wäre. Vor allem am Kopf. Und jetzt juckte es wieder hinten am Rücken. Mist.

Frau Eberhard – die Gespielin

Friseur Eberhard und seine Frau waren  schon speziell und sehr verliebt. Sie war wie erwähnt um etliche Jahre jünger und schon kindlich-naiv zu nennen. Einmal erzählte sie in der Metzgerei ihre Bettgeschichten bzw. -spiele mit dem Eberhard: „Wir werfen jeden Morgen im Bett einen Ball hin und her.“ Süß.

Salon Dömling – Theaterstraße

Mein Vater ging auch zum Eberhard. Meine Mutter genoss die wöchentlichen Friseurbesuche im Salon „Dömling“ in der Theaterstraße neben dem Schreibwaren Kurtze. Später wurde der Salon von Herrn Tietze  (heute Bahnhofstraße) übernommen.  

Der Traum der langen Haaren bleibt unerfüllt

Ich hätte gern, vor allem in den 70ern, mein Haar lang getragen. Aber hier kannten meine Eltern kein Pardon. „Die Wolle muss wieder mal runter!“ Dabei standen sie gerade ein wenig auf dem Hemdkragen auf. Meine Cousins hatten es da besser. Die hatten vielleicht Matten. Erich, Michael und Matthias hätte man sofort für die Mitglieder einer Rock- oder Beatband halten können. Alles Bitteln und Betteln half nichts. Friseur.

Grand Fun Railroad/ Mark Farner links mit Gitarre

Das schmerzte um so mehr als ab 1973 Mark Farner von Grand Funk Railroad zu meinem großen Idol wurde. Und der hatte Haare bis zum „Arsch“.  In meinem Zimmer hing dazu ein riesiges Poster: Mark Farner im Shea Stadium.

Mark Farner

Mein Vater hatte nichts dagegen. Aber die Haare wurden geschnitten. Und dann kam der Satz, der einem völlig den Wind aus den Segeln nahm: „Denjenigen, die heute lange Haare haben, fallen später mal die Haare aus. Die kriegen ne Glatze!“ Heute  habe ich fast eine. Komisch, habe mir doch eigentlich in der Beziehung nichts zu Schulden kommen lassen.

3 Antworten auf „Würzburger Geschichten – Haarige Sache in der Semmelstraße“

  1. Ja, so war das. Ich habe jedesmal bitterlich geweint, wenn ich vom Friseur kam. Da meine Mutter, Tante Martin immer nur Buben wollte und ich als Tochter eigentlich nicht so geplant war, wurden mir die Haare auch immer als Rabbo geschnitten und so war ich bei vielen nur das Fritzle. Bis heute habe ich ein Traumata und gehe bis jetzt hoechst ungern zum Haareschneiden. Und als ich endlich ins Teenager Alter kam, war ich überglücklich, dass ich sichtbar doch ein Mädchen bin. Liebe Grüße. Deine Cousine Regina

    1. Hallo Regina,
      Danke für deinen Beitrag bzw. Kommentar hier, Regina. Siehe Bild mit meinen Cousins und deinem Bruder Thomas. Deine Haare sind recht kurz. Gruß

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