Eine neue Würzburger Geschichte: Sommer bei Tante Ilse auf der Keesburg

Meiner lieben Tante Ilse und Onkel Rudi gewidmet

Tante Ilse, die ältere Schwester meiner Mutter, war wie meine zweite Mutter. Unglaublich wie viel Zeit ich bei ihr verbringen durfte. Leider ist sie 2019 verstorben. Ihr war es vergönnt bis zum letzten Atemzug  neben uns im Haus zu wohnen. Und ich bin froh, sie bis kurz vor ihrem Tod fast täglich besucht zu haben.

Jeden Sommer, wenn ich nicht in Untersambach war, verbrachte ich bei ihr und ihren drei Buben. Mutter schickte zu all unserer Verpflegung ein Wurst- und Fleischpaket mit. Der Tagesablauf gestaltete sich recht abwechslungsreich. Am Morgen Frühstück. Mittwochs gab es immer wunderbare Weck vom Bäcker Volkmann auf der Sieboldshöhe,  die ein Bäckerjunge mit dem Rad auslieferte und  das Leinensäckchen mit etwa 10 Brötchen außen an die Gartentüre hängte. Das waren Brötchen so mit leichtem Mehlstaub dran. Ein Genuss.

Perfektes Kinderareal

Der Garten und das Haus der Hessenauers sehen heute noch genauso aus, als wenn die Zeit stehen geblieben wäre. Das ganze Gelände ist mit natürlichen Versteckmöglichkeiten ausgestattet, mit Berg auf dem das Haus steht und einer Art „Valley“ außen rum. Es gibt einen stufigen steilen „Bergpfad“ zur Garage und einen kleinen Trampelpfad dazwischen.  Da steht auch eine wunderbare Pinie, die dem Hang ein nordamerikanisches oder südeuropäisches Flair gibt. Einer der schönsten Bäume ist der Quittenbaum, der noch jedes Jahr unglaublich reichhaltig mächtig gelbe Früchte trägt, die plötzlich wie aus dem Nichts Ende September erscheinen, indem sie ihre grüne Farbe plötzlich abgelegt haben. Johannisbeersträucher an der uns zugeneigten Seite und nicht zu vergessen ein Mirabellenbaum, der ebenfalls Jahr für Jahr reiche Frucht bringt. Im hinteren Garten zur Ebertsklinge stehen Obst- und Zwetschengenbäume. Auf der Westseite des Hauses und auch überall im Garten hatte Onkel Rudi allerlei glitzerndes Gestein aus den Alpen drapiert. Und nach dem jährlichen alpenländischen Sommerurlaub standen Flaschen und Gläser gefüllt mit Annika-Blüten auf den Kellerrosten der Westseite, um die Essenzen herauszuholen. Das ganze Hessenauersche Familienleben war bewundernswert geregelt und lief im Vergleich zur geschäftlichen Hektik eines Fleischereibetriebes in ruhigen Bahnen. Rudi war Beamter und arbeitete am Gericht in der Ottostraße. Tante Ilse, gelernte Kinderkrankenschwester, war für Haushalt, Garten  und die Kinder zuständig.

Der Vormittag

Nach dem Frühstück war der Vormittag für uns Kinder erfüllt mit Gartenarbeit: Ausgrasen, eine besonders beliebte Tätigkeit, Rasen mähen mit einem rein mechanischen Mäher mit sich drehenden Schnittwerk. Unverzichtbares Utensil die Kantenschere um überstehends Grashalme zu entfernen, an die man mit dem „Mäher“ nicht herankam. Daneben musste Wäsche aufgehängt, zusammengelegt und natürlich Küchendienst geschoben werden. Jede Tätigkeit ging aber zusammen im Team so leicht von der Hand, dass nichts Mühe machte und keiner herummaulte. So kurz vor 13 Uhr musste das Einfahrtstor zum Grundstück geöffnet werden, damit Onkel Rudi problemlos ohne auszusteigen mit dem Auto hereinrollen konnte.  Ich erinnere mich noch gut an einige Fahrzeuge: eine Borgward Arabella und ein blauer VW-Variant 1600, dann ein orangefarbener Audi, später dann französische Citroen.

Mittagessen

Alle nahmen dann auf der Terrasse Platz. Onkel Rudi und Tante Ilse auf der Hollywood-Schaukel. Wir auf Gartenstühlen. Tisch war natürlich eingedeckt: Essteller, Suppenteller, Besteck mit Nachtischlöffel. Tischgebet. Dann eine typische Liebesgeste meines Onkels: der Griff an Ilses Ohrläppchen. Kurzes Drücken bzw. Reiben des Selbigen. Einfach schön. Dann musste absolute Stille herrschen. Rudi machte das, auf einem kleinen Tischchen stehende, Transistorradio an. Und da ertönte schon das Nachrichtensignal des  Deutschlandfunks. Gibt´s das heute noch? Gemeinsames Hören der Nachrichten um 13 Uhr. Müsste man eigentlich einführen. Jeder wusste Bescheid, was in Deutschland und der Welt los war. Danach wurde das Radio sofort wieder ausgemacht. Essen mit angeregter Kommunikation. War der Nachtisch verzehrt, Tisch abräumen. Rudi verabschiedete sich.

Küchendienst. Ilse spülte, der Rest trocknete ab, räumte ein und kehrte die Küche.

Die Nachmittagsgestaltung

Danach Freizeit bis 15 Uhr. Ich spielte mit meinen Elastolinrittern vom Spielwaren Rußwurm  im herrlich, buckligen Gartengelände, ließ die Germanen, die sich zwischen den Pflanzen versteckt hatten, die Römer überfallen oder zum Rückzug den steilen Abhang hochjagen, Besonders schön war, wenn Matthias mitspielte. Das hätte Stunden lang so gehen können.

Um 15 Uhr dann pünktlich Kaffeezeit auf der Terrasse. Entweder hatte Tante Ilse Käse-, Zwetschen- oder Heidelbeerkuchen gebacken oder es gab das wunderbare Schwarzbrot vom Bäcker Zierlein mit dem herrlichen Kümmelgeschmack. Wenn´s frisches Brot gab, machte Ilse immer, wie es sich eigentlich gehört, ein Kreuz mit dem Messer auf´s Brot. Dann schnitt sie das Brot an die Brust gedrückt auf. Dazu gab es Butter und die besten Marmeladen bzw. Gelees der Welt. Nummer 1: Ilses Quittengelee, aus den Früchten des beschriebenen Baumes gemacht. Ich selbst versuche mich ebenfalls jeden Spätherbst an Quittengelee. Tante Ilse überließ mir jedes Jahr so viel, wie ich wollte, denn die Herstellung ist schon schweißtreibend, kräfte- und zeitraubend.  Ilse kochte das Obst ein und ließ dann das Fruchtgut  über Nacht durch ein Leinensäckchen, das über einen umgedrehten Hocker befestigt war, in ein Gefäß tropfen. Ihr Gelee hatte einen vollen orange-rötliche Farbton und nahm beim Entnehmen aus dem Glas geometrische Formen wie Quader und Würfel an. Die Körper standen richtig gehend auf der Butter und wackelten hin und her. Im Mund entfaltete sich dann ein Feuerwerk des Quittenaromas. Nummer 2 war die Kernlesmarmelade – unbeschreiblich eine paradiesische Marmelade aus Himbeeren hergestellt. Zum Trinken wurde Caro-Kaffee mit Milch gereicht, Ilse trank äußerst starken Bohnenkaffee mit Kondensmilch.

Badespaß, Fußball oder Cowboy und Indianer

Nach dem Kaffee begann meist der sportliche Teil des Tages, der sich dann in unserem Garten abspielte. Mein Bruder kam dann  und oft auch MC-Freunde zum gemeinsamen Herumtoben im Garten: Badespaß im runden Schwimmbecken zur Abkühlung, danach Fußballbolzen zwischen den vielen Obstbäumen bis zum Umfallen. Oder wir spielten Tischtennis neben dem Hühnerhäuschen oder Cowboy und Indianer. Wenn meine Eltern nach dem Geschäft nicht  hoch in den Garten kamen, was selten vorkam, gab es bei Tante Ilse etwa um 18 Uhr Abendessen. Danach wurden die 20 Uhr-Nachrichten verfolgt und noch ein wenig ferngeschaut oder Rudi spielte auf seiner Hammondorgel. Eine beliebter Schlusspunkt des Tages war jeden Abend das Betthupferl. Tante Ilse ging zum Süßigkeitenschrank im Esszimmer,  öffnete die knarzende Tür und übergab mit vier Rippchen Schokolade zum Verzehr. Manchmal erhielt ich auch zwei mit Schokolade ummantelte Orange—Pralinen-Stäbchen, die mochte ich ehrlich weniger. Aber das verriet ich ihr nie.

Bettgeschichten

Dann ging es hoch und im Bubenzimmer ins Bett. Meist war es drückend heiß und das offene Fenster brachte wenig Abkühlung. Die Jungs in ihren Betten, ich auf einer Liege. Keiner konnte einschlafen und so wurden reihum irgendwelche Geschichten erzählt und erfunden. Zum Beispiel wurde aus der Tatsache des geheimnisvollen Dachbodens über Oma Mathildes Gartenhaus, manch spannende Geschichte gestrickt. Keiner war eigentlich richtig oben, aber irgendeiner meiner Cousins meinte,  oben läge wohl ein altes Fahrrad. So entspannte sich jeden Abend eine neue Geschichte vom alten Fahrrad, das tausende Erlebnisse und sagenhafte Besitzer hatte. Das war richtiges Kopfkino.

Leo – unser Riesenschnauzer

Schön war als wir etwa gleichzeitig Hunde besaßen. Hessenauers hatten den Schäferhund Arno, der leider  von einem Vorbesitzer kommend verschlagen und auch sehr ängstlich war. Ich hatte 1973 Leo den Riesenschnauzer bekommen. Also war jeden Tag schon mal mit Matthias Gassi gehen in den nahen Schrebergärten angesagt, wo sich heute das Hufeisen der Franz-Stadelmayer-Straße  befindet.

2 Antworten auf „Eine neue Würzburger Geschichte: Sommer bei Tante Ilse auf der Keesburg“

  1. Leider durften wir die Familie Hessenauer erst im hohen Alter kennenlernen.Rudi konnte auch sehr gut Klavier spielen!
    Danke,dass ich jetzt noch ein bisschen mehr über unsere lieben Nachbarn erfahren durfte.

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