Landverschickung – Ferien auf dem Bauernhof
Da meine Eltern überhaupt nicht in den Sommerurlaub fuhren, sollten wir Kinder doch ab und zu mal in den Genuss kommen in die „Ferne“ zu schweifen. „Ferne“ hieß für mich zu Beginn der 60er Mainberg bei Schweinfurt, später ab etwa 65 Untersambach bei Wiesentheid. Da war ich dann jeweils für einige Zeit untergebracht. In Mainberg wohnte ich bei den Maars. Berta Maar war als Haushaltshilfe in der Semmelstraße angestellt. Sie liebte mich von ganzem Herzen und nahm mich gern nach Mainberg mit. Ihr Mann Siegfried hatte einen schwarzen Käfer mit Brezelfenster und was mich besonders faszinierte ein tuckerndes BMW-Motorrad mit Seitenwagen. An sich war ich ja wirklich sehr brav, aber auch wissbegierig. Die folgende Episode wurde mir erzählt und kursierte in unserer Familie. Die Maars hatten einen kleinen roten Fußballschuh mit Streichhölzern auf dem Wohnzimmertisch stehen. Abends bevor mich Berta ins große Federbett brachte, schnappte ich mir einst das Schühchen und nahm es mit ins Bett. Licht aus, „Schlaf schön!“. Von wegen schlafen, Klein-Konrad probierte die Zündhölzer aus. Tatsächlich sie brennen und das Bett auch. Zum Glück kam Berta nochmal rein und rettete den Zündler. Schwein gehabt.
Untersambach
So mit fünf oder sechs hatte ich ein neues Feriendomizil, da Bertha inzwischen eigenen Nachwuchs hatte: Untersambach im Steigerwald, ein Dorf – nein eher eine Ansammlung von einigen wenigen Gehöften. Das Ehepaar Feth, fleißige Landwirte, hatten mehrere Kinder. Die älteste Tochter Magda folgte Bertha nach. Ihre Geschwister hießen Otmar und Maria , die später auch den Beruf der Metzgereiverkäuferin erlernte und lange Jahre bei meinen Eltern arbeitete. Hört sich zunächst gut an. Aber es war ein Kulturschock. Ein Stadtkind, das wie meine Mutter es manchmal beschrieb, in der Stadt herumstreunt und im Hof von Zollner & Rummel mit Freunden
(Zollner & Rummel, Würzburg, Spezialgeschäft und Großhandlung in allen Bau-, Kanalbau-, Gas- und Wasserleitungsartikeln, Pumpen, Röhren-, Klosett- und Bade-Einrichtungen. Haupt-Katalog über sämtliche Gegenstände der Bau-, Kanalbau-, Gas- u. Wasserleitungsbranche. Firmenbeschreibung von 1908)
zwischen den Ruinen rumspielt, plötzlich auf dem Land, ein Bauernhof – völlig unbekanntes Terrain. Eine Fliegenpatsche hatten wir auch in der Metzgerei und es war meine große Leidenschaft, sie im Ladenzimmer oder oben in der Küche zu erlegen. Aber in Untersambach gab ´s nicht nur zehn, sondern tausende Mücken, die einen überall belästigten.
Hinzu kamen bis dato unbekannte Flugwesen in Form von Bremsen, die einen zwickten, dass einem Hören und Sehen verging. Es war grässlich. Da Maria und Otmar schon älter waren, wurde nicht zusammen gespielt , sondern es galt bei allen möglichen Tätigkeiten mitzuhelfen. Es gab allerdings auch wunderschöne Spaziergänge im nahen Wald, in dem Damwild zu beobachten war. Wir sind viel mit dem Fahrrad, ich auf dem Gepäckträger auf den typisch sandigen Wegen dieser Steigerwaldregion unterwegs gewesen. Schlimm war es, wenn die Fahrt zu jenem „Schwimmbad“ in der Nähe führte. Man sehnte sich oft danach, da die Sommer in Untersambach in meiner Erinnerung immer sehr heiß waren. Als wir das erste Mal da ankamen, traf mich fast der Schlag. Ich war das chlorreine, kristallklare Wasser unseres Schwimmbades im Garten gewöhnt. Hier in der unterfränkischen Badediaspora traf ich auf eine glitschige Holztreppe, die in ein grünlich sumpfiges Gewässer führte, das einen modrigen Geruch verströmte. Schleimige Grün- und Blaualgen, Bremsen, schwirrende Schnaken, fette Libellen, wahrscheinlich auch Rückenschwimmer und Gelbbrandkäfer. Nein, höchstens Füße rein, mehr ging für mich nicht. Das war kein Badespaß!
Oft war in der Nacht ein Gewitter im Anzug, das sich in der Stille Untersambachs mit lautem Grollen ankündigte. Ich lag tief in die Matratze eingesunken unter einem gigantischen Federbett und zog bei jedem Blitz die Decke über den Kopf. Der Bauernhof hatte keinen Blitzschutz und es kam einmal vor, dass ein Blitz in eine benachbarte Scheune einschlug und die Feuerwehr den Brand löschen musste.
Am Morgen wachte man, verstochen von den zahlreichen Schnaken, auf und freute sich, dass man noch am Leben war. Ein richtiges tolles Fest war das Dreschfest in Untersambach. Da gab es nach getaner Arbeit offenfrisches selbst gebackenes Bauernbrot . Eine Köstlichkeit auch ohne Wurst.
Einmal musste mich mein Vater aus „Untersambi“ abholen. Ich saß auf Otmars Gepäckträger und wir befuhren wieder mal einen sandigen Weg. Ich brachte meinen rechten Fuß in die Speichen und verdrehte ihn derart, dass ich dann in Würzburg zum Röntgen musste. Noch heute habe ich rechts ein Wundmal in Form einer Narbe.