„Würzburger Geschichten“ aus der Semmelstraße über allerlei Getier, das Bananenbäuerle, Personalwesen, Nachbarschaft, Hausbegehung und ein späterer Stadtpromi wird auch noch erwähnt. Viel Vergnügen!

Semmelstraße Würzburg: Links das Hotel London und das Cafe

Wie ich heute so mit dem Hund unterwegs war, fiel mir wieder Frau Hochrhein ein. Nach dem Namen hatte ich schon seit Tagen gesucht, wie nach einem fehlenden Puzzleteil.

Ein Gang durch das Haus

13 Jahre lang habe ich in der Semmelstraße 23 gewohnt. Ein dreistöckiges Anwesen mit Hinterhaus, unglaublich verschachtelt. Das Erdgeschoss beherbergte die Metzgerei, im hinteren Teil befanden sich  die Wurstküche, zwei Kühlräume, ein Salzraum und ein winziges Kabuff  mit dem Knochensägegerät.  Mutter erzählte einmal, dass in dem einen Kühlraum nach dem Angriff eine Leiche lag. Der Mann war im Kühlraum erstickt, da das Feuer den Sauerstoff absog. Die ganze Wurstküche war gefliest. An einer Wand standen zwei große Kessel. Wir hatten eine echte Räucherkammer für all die Wurstwaren. Am besten schmecken Wienerli halt, wenn sie so lauwarm aus dem Rauch kommen  und noch am rußigen Gestell hängen. Sägemehl wurde dazu immer im Neuen Hafen geholt. Das fand ich recht spannend, weil es immer für Abwechslung sorgte. Und ich genoss es neben meinem Vater im Lieferwagen zu sitzen. Neben der langen Einfahrt gab es einen kleinen Innenhof, in dem  Mülltonnen, Fahrräder und bis zu Oma Mathildes Tod die Spirlingsmaischenfässer standen.

„Klenner hol mal….!“

Gleich daneben ging es in den Keller. Wenn es manchmal samstags- oder sonntagsabends hieß  „Klenner hol´mal eine Flasche Wein aus dem Keller“ überkam mich als kleiner Stöpsel Angst. Das ist das Thema, das Lehrer gern im Deutschen stellen. Ich hätte den Gang in die Tiefe mit Bravour als Erlebnisaufsatz schildern können. Der Keller war mir immer unheimlich. Rechts war ein Lichtschalter angebracht. Licht an! Und die Ohren gespitzt, ob irgendetwas Verdächtiges zu vernehmen war. Dann laut pfeifend der ausgetretenen Treppe folgen. Biegung nach links und dann den Gang hinter  bei spärlicher Deckenbeleuchtung. Die Fernheizung gluckerte vor sich hin. War da was? Es knackst unter den Füßen. Ne Kakerlake zerquetscht – na prima. Ihre Freunde flüchten rasend. Trost spendet die gehörte Ansicht, wenn Kakerlaken da sind, gibt´s keine Ratten. Nochmal links dann, die Thekenkühlanlage produziert auch Geräusche, nun zu den Kellerabteilen, Flasche geschnappt und Rückweg. Welcher Trottel macht denn jetzt plötzlich oben das Licht aus? Ich schrei´den Gang hinter „Licht an!“ Uff. Schnell raus hier.

Ungeziefer gab es bisweilen: Kakerlaken und Ratten. Meine Eltern sagten immer, die letzteren kommen vom Bäcker im übernächsten Haus. Man hat natürlich immer versucht die Viecher loszuwerden. Dazu gehörte absolute Reinlichkeit. Ratten waren allerdings eher selten ein ernstzunehmendes Problem, denn unsere Familie hatte immer Pfeffer-Salz-Schnauzer im Haus.

1973 hatten wir wieder einen Pfeffer-Salz-Riesenschnauzer auf der Sieboldshöhe: Leo wurde der Teufel genannt!

Will, so hieß unser Mittelschnauzer in den 60ern, wurde  im Keller eingesperrt, um einer Einnistung der Nager vorzubeugen. Später dann in den 70ern hatten wir keinen Rattler (= Pinscher/Schnauzer) mehr. Das passte mit einem Lebensmittelbetrieb nicht mehr zusammen, außerdem ging Will immer in die Semmelstr. 21 und schiffte da im Treppenhaus gegen die Wand, denn dort war Dr. Schneidemanns Tierarztpraxis. Das gab Ärger. In dem Nachbarhaus hatte zudem der Allgemeinarzt Dr. Krug seine Praxis. Das ganze Anwesen durchzog ein furchtbar penetranter  Gestank, der noch von der Tatsache potenziert wurde, dass Frau Hochrhein im obersten Stockwerk die Ratten der Lüfte, nämlich ein Heer von Tauben fütterte. Das war eklig und nicht zum Aushalten. Mit Frau Hochrhein gab es diesbezüglich den ein oder anderen Disput.

Semmelstr. 23 – Fortsetzung der Hausbegehung

Eine Holzstiege führte durch das ganze Haus. Im 1. Stock war unsere Wohnung, im 2. Stock Oma Mathilde. Gegenüber ihrer Wohnung war in den 60er Jahren das Waschhaus. Es war ausgestattet mit riesigen Metallzubern, in denen die blutige Berufskleidung  erstmal eingeweicht wurde. Zum Trocknen kamen diese auf den sich anschließenden Balkon oder auf die beiden Terrassen ober- bzw. unterhalb des 2. Stocks. Der dritte Stock war an Studenten vermietet. Einer der früheren Jura-Studenten ist seit langem stadtbekannt: Adolf Bauer, unser 2. Bürgermeister, jetzt A.D. Im dritten Stock führte eine Tür auf die Altane mit herrlichem Blick auf Stift Haug und unseren ca. 7 m hohen Schlot, der aus dem Hinterhaus ragt.

Großmutter Mathilde im weißen Metzgerkittel auf der Altana der Semmelstraße. Dahinter sind noch Ruinen und der beginnende Wiederaufbau erkennbar. Auf dem Sonnenstuhl daneben ein Riesenschnauzer. Wer die adrette, junge Frau daneben war, weiß ich nicht.

Den Schlot hat einmal ein, im Appartement wohnender  guter Freund meinerseits, in den 80ern mit einem nackten, überlebensgroßen Mann verziert. Meine Eltern fanden es künstlerisch wertvoll,  die Nachbarn weniger und so musste er abgehängt werden. Ende der 60er wurde aus der Waschküche das Mädchenzimmer für ca. 4 bis 5 junge Damen. Es war damals Usus, dass das vom Land kommende Personal Kost und Logis bei uns hatte. Katholisch getrennt –  die Mädchen im 2. Stock, das Burschenzimmer befand sich im Hinterhaus. Dort wohnte noch ein schon betagtes Paar, Herr und Frau Keil. Wahrscheinlich äußerst günstig, meine Eltern waren diesbezüglich absolut sozial eingestellt. Der Keil Sohn Fritz, der Dunnerkeil, besuchte seine Eltern oft und jedes Mal gab es eine heftige Konfrontation mit Will unserem Schnauzer. Beide konnten sich auf den Tod nicht ausstehen.  Wer zuerst mit dem Zwist begonnen hat, Fritz wie der Wüterich aus Struwwelpeter oder Will, der aggressive Schnauzer, weiß ich nicht mehr. Die zwei führten auf jeden Fall Krieg miteinander.

Im 1. Stock führte ein Gang zum Hinterhaus. Rechts vom Gang war eine geräumige Küche mit Gasherd und großem Tisch für das Personal. Dort nahm dieses das Mittag- und Abendessen ein.

Die Metzgermeister, -gesellen und Lehrlinge in den 80ern

Arbeitsbeginn war für die männliche Belegschaft je nach Wochentag vier oder fünf Uhr. Am Samstag wurde sogar bisweilen, vor allem in der Zeit vor Weihnachten, noch eher begonnen. Die Mädchen hatten´s da besser, die begannen um 7 Uhr.

Gefrühstückt hat die Wurstküchenmannschaft zwischen 8 und 9 Uhr. Es wurde ein Tablett mit Malzkaffee, Brötchen, Butter, Marmelade und Wurst nach hinten getragen. Man scharte sich um einen Hackstock, saß auf Mulden und langte kräftig zu. Um 13 Uhr war allgemeines Mittagessen: wir im Ladenzimmer, das Personal oben in der Küche. Gekocht für alle hat meist nebenbei meine Mutter. Ich weiß nicht, wie oft sie die Treppe vom Laden hoch zur Küche gerannt ist. Das war der tägliche Sport um fit zu bleiben. Wir hatten auch eine Angestellte, die sich um Wohnung, Personalräume, Wäsche, und Konradbetreuung kümmerte. Nach Mutters Anleitung verrichtete sie Küchenarbeiten.

Beim Ausbeinen: links Konrad Martin und rechts der früh verstorbene Wolfgang Rüger

Der Speiseplan war sehr abwechslungsreich: Fleischküchle, Suppenfleisch, Bauchspitze, Koteletts, Krautwickel, Bratwurst, Hackbraten, Fleischwurst, Kartoffelgemüse,  Nudeln, Salzkartoffeln, Reis, Kartoffelbrei, Salat, Wirsching, Spinat, Blumenkohl, Sauerkraut, immer Nachtisch, vorneweg stets Rindersuppe. Freitags: niemals Fleisch, dafür Fisch, Griesbrei, Reisbrei, arme Ritter mit Weinschaumsauce! Die beste Suppe, ich weiß nicht, ob ihr das kennt, war eine Fleischbrühe in der geräucherte Bauchspitze gekocht worden war mit Reiseinlage.

Personal wird gehegt und gepflegt

Es war damals – wahrscheinlich genauso wie heute –  verdammt schwer Lehrlinge für das Metzgerhandwerk zu bekommen. Wenn meine Eltern irgendeinen Tipp bekamen, sind sie am Wochenende bis in die Rhön gefahren, um eventuelle Aspiranten  auf eine Ausbildung persönlich kennenzulernen bzw.  sich von dem zukünftigen Mitarbeiter ein Bild zu machen oder auch um die Lehrstelle mitten in der Stadt anzupreisen. Das war wirklich eine schwere Zeit.  Aus diesem Grund war ihnen jeder unserer Angestellten lieb. Und es ging ihnen gut bei uns. In der Sommerszeit wurden  alle nach Ladenschluss in unseren Garten geschafft. Es wurde zu Abend gegessen, geratscht und die Burschen bolzten mit uns Kindern  Fussball. Das ging oft bis zur Dämmerung. Auf dem Heimweg gab´s bisweilen noch für alle ein Eis in der Franz-Ludwigstraße (Eis-Babett?). Das Eis da war selbstgemacht, vor allem das Fruchteis war exzellent.

Oh Gott – es ist wieder Kiliani!

Wenn Kiliani war, stand immer ein gemeinsamer Besuch des Volksfestes  auf dem Programm. Das war aber auch die Zeit, in der meine Mutter immer die größten Ängste hatte: „Hoffentlich wird mir keine schwanger!“ Das war stets ihre Befürchtung. Selbiges galt auch, wenn das amerikanische Freundschaftsfest war. Schließlich hatte sie für die Nichtvolljährigen die Verantwortung zu tragen.

Es war nicht einfach für sie, wenn die jungen Damen um 24 Uhr noch nicht im Bett lagen oder am nächsten Tag ob des beträchtlichen Alkoholgehalts nicht aus den Federn kamen. Aber letztlich lief doch alles immer glimpflich ab.

Eine gemeinsame Weihnachts- und Faschingsfeier gab es auch jedes Jahr so bis zu Beginn der 70er Jahre.

Was ich wohl nie vergessen werde, ist der frühmorgentliche Besuch in der Bäckerei Schäflein. Überall für uns „Wurstmännli“ der betörende Geruch nach frischem Backwerk. Die warmen wohlriechenden Weck in den Körben knisterten noch vor sich hin. Lecker. Meist holte ich den ersten Korb Brötli für die Wurstkipf und durfte immer noch Hörnchen mitnehmen. Was gibt´s besseres als ein fränkisches Hörnchen in süßen Milchkaffee einzutunken. Ab 6 Uhr kamen dann die ersten Kunden um Brotzeiten abzuholen.

Der „Bananen-Bauer“

Einer von denen war der „Bananen-Bauer“ oder lieblicher es „Bananen-Bäuerle“. Ein schon abgearbeitetes , kleinwüchsiges Männlein in blauer Arbeitskluft mit Schirmmütze, das tagtäglich in den frühen Morgenstunden  mit seiner braunen Aktentasche einlief . Irgendwie erinnerte er an „Walther Sparbier“ (das sagt wahrscheinlich kaum einer/einem noch was!) nur kleiner und verhuzzelter. Er arbeitete am Bahnhof und war bei 1×1 oder so ähnlich für Obst und Gemüse zuständig. Drum hieß er „Bananenbauer“. Und tatsächlich brachte er am Morgen oft irgendwelches Obst mit. Einmal hatte er nen ganzen Karton bestellte Bananen für den Nachtisch dabei und ich sollte diesen hoch in die Küche tragen und selbigen wieder zurückbringen. Ich also hoch – die Bananen waren in so blaues Papier eingewickelt- hole fünf zusammenhängde heraus und leg´ sie auf die Küchenanrichte, da fällt eine „Bananenspinne“ auf den Boden – sie hat nur kurz gelitten.

Heiße Knöchli

Donnerstags war Knöchles-Tag. Schon um 6 Uhr stand der riesige Metallkasten im Laden voll mit dampfenden Knöchli, so dass die Ladenscheibe anlief. Ich hasste diesen Geruch und verstehe bis heute nicht, warum viele Zeitgenossen so scharf darauf sind. Auf jeden Fall war das jede Woche ein Mordsgeschäft. Vor allem die Müllmänner rissen sich um die Knöchli und nach kürzester Zeit waren sie  Woche für Woche weg. Wer nicht vorbestellt hatte, schaute eh in die Röhre. Im Gegensatz zu den Knöchli, gefiel mir das Auslassen von Schweinefett und das Füllen der Tüten mit dem blauen Etikett, auf dem eine fröhliche Wutz abgebildet war. Ich liebte Griebenschmalz und  ein Schwarzbrot mit Schweinefett bestrichen, obendrauf natürlich eine Prise Salz – ein Gaumenfest.

Ich mochte die Semmelstraße – die Metzger- und Bäckerstraße. Vier Metzger, zwei Bäcker. Nur 30 m von uns entfernt war die Metzgerei Lotter. Und vorne stadtauswärts rechts war das Café Walter. Die hatten äußerst gute Salzstangen.

Zwiebelkirchweih

Höhepunkt in der Straße war immer die Zwiebelkirchweih. Nicht so der Trubel mit Bierbänken und –tischen wie heute. Das war ein kurzes aber heftiges Zusammenkommen von Menschen, die die Wallfahrer begrüßten, die damals noch hundertprozentig echte Wallleut waren. Vorneweg lief meist Herr Burger, der meinen Vater bei der Gartenarbeit unterstützte. Vorne beim Bürgerspital wurden Tannenwedel mit angehängten Süßigkeiten verkauft. Der ganze Straßenzug roch nach Zwiebel- und Zwetschenkuchen. Bäcker Schäflein machte jedes Jahr ein Riesengeschäft und die Metzgereien verkauften Leberkäs- und Wurstweck. Waren die Wall-Leut durch war´s Fest vorbei.

Wenn am Samstag, der schon beschriebene Ladendienst beendet war, erhielten alle Angestellten ein großes Wurst- und Fleischpaket für ihre Familie. Samstags ging das männliche Belegschaft spätestens um 10 Uhr  ins Wochenende. Ab 15 .30 Uhr kehrte bei uns im Haus Grabesstille ein. Samstag war Badetag und dann wurde relaxed. Wohl verdientes Wochenende.

Ferienerlebnisse in der fränkischen Provinz gibt´s demnächst hier zu lesen! Bis dahin herzlichen Gruß! 🙂

6 Antworten auf „„Würzburger Geschichten“ aus der Semmelstraße über allerlei Getier, das Bananenbäuerle, Personalwesen, Nachbarschaft, Hausbegehung und ein späterer Stadtpromi wird auch noch erwähnt. Viel Vergnügen!“

  1. Toll geschrieben, vieles aus meiner Kindheit kommt da zurück ich wohnte neben dem Metzger Därr im Frauenland und ich war auch immer mit den „Metzgermädli“ befreundet. Eine kam aus Karlburg und manchmal durfte ich mit ihr übers Wochenende heim. Die Beatpartys auf dem Land….. legendär. Meine Mutter wusste natürlich nichts davon. Die dachte ich mache Wochenenden auf dem Land..

  2. Das Eis in der Franz Ludwig Straße war von meiner Urgroßmutter Babette Schmidt. Also von meiner Oma Betty, wie ich sie genannt habe.
    Schön, dass sie erwähnt wurde!!!

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