Freut ihr euch auch jedes Jahr auf Weihnachten? Als Kind war die schönste Zeit doch die davor. Dieses Warten auf das „Christkind“ damals, Spannung, die sich von Tagt zu Tag mehr aufbaute. Noch besser, wenn im schneearmen Würzburg beim Aufwachen, plötzlich Schnee in der Semmelstraße lag, der sich aber ab 10 Uhr, wenn der Verkehr rollte, in einen schwarzen unansehnlichen Schneematsch verwandelte. Dennoch war immer die Hoffnung auf weiße Weihnacht da.
Spielwaren “Russwurm”
Ein untrügliches Zeichen, dass Weihnachten vor der Tür stand, war für uns Kinder die Neudekoration des Spielwarengeschäfts „Russwurm“ in der Semmelstraße 18, , also genau gegenüber der Metzgerei Martin. Heute ist in dem Haus die Firma „Foto-Fix“. In der Weihnachtszeit mutierten die beiden großen Schaufenster zu einer Kinder-Traumwelt. Das Schöne dabei war, dass wir von unserem Kinderzimmer im ersten Stock einen ungehinderten Blick auf jene hatten. So konnten wir hautnah die Verwandlung in der Weihnachtszeit mitverfolgen. Ich weiß nicht, ob heute Spielwarenauslagen noch so liebevoll und detailliert gestaltet werden. All die Spielsachen wurden so nett drapiert, dass allein das Betrachten der Auslagen die reinste Freude war. Und jeden Abend saß ich auf der marmornen Fensterbank mit dem Fernglas bewaffnet, die heiße aufsteigende Luft des Heizkörpers sorgte dabei für eine wohlige Wärme, und meine Augen konnten sich nicht sattsehen.
Blickfang “Märklin Eisenbahn”
Blickfang Nummer eins war jedes Jahr eine Märklin-Eisenbahn. Der dampfbetriebene Güterzug, der moderne rotbeige Europa-Express und ein Dieseltriebwagen zogen entweder durch alpine weiße Landschaften oder über sommerliche Bergpanoramen unermüdlich ihre Bahnen. Das war quasi der Vorgeschmack auf unsere eigene Märklinanlage, die nur in der Weihnachtszeit aufgebaut wurde und sonst den Rest des Jahres über dem Salzraum in der Wurstküche im Tiefschlaf lag. Neben der Eisenbahn galt es natürlich viele weitere interessante Dinge im Russwurmschen Reich zu entdecken: wunderbare Steiff-Tiere, eine grandiose Ritterburg mit bemalten Elastolin-Figuren im Belagerungszustand, Rennautos, Kasperlpuppen…. Kurzum ein Eldorado für jedes Kind. Soweit ich noch weiß, war dieses Paradies spätestens zum Ersten Advent zu bestaunen.
Sankt Anna Kindergarten – Ich geh´ mit meiner Laterne….
Für mich begann die schönste Jahreszeit schon immer am 11. November. Sankt Martin. „Ich geh´mit meiner Laterne..“ „Sankt Martin, Sankt Martin, Sankt Martin war ein…“. Im Sankt Anna-Kindergarten wurden mit den Schwestern zusammen jedes Jahr wunderschöne Martins-Laternen gebastelt. Nach dem Laternenumzug kam dann der Höhepunkt, die gebackenen honigsüßen Martinsgänse wurden verteilt.
Welch´ein Genuss, der sich ergab, wenn es einem gelang mit festem Biss, ein Stück des harten Lebkuchens im Mund landen und zergehen zu lassen. Unbeschreiblich dieser Geschmack nach Honig, Hirschhornsalz und Kardamom. Nicht ganz einen Monat später der zweite lukullische Glanzpunkt der Vorweihnachtszeit: Nikolaus. Wieder gab es die wunderbaren Lebkuchen der Sankt Anna-Küche in Form von Nikoläusen gepaart mit Mandarinen und Nüssen in schönen Tüten.
Weihnachtsbäckerei
Auch zu Hause wurden jetzt die Vorbereitungen für das Weihnachtsbackwerk getroffen. Es wurden die Teige für Schwarz-Weiß-Gebäck, Spritzgebäck, Kokos-, Nussmakronen, Butterplätzchen und Heinerli hergestellt. Und an einem Sonntag nach dem 6. Dezember war dann Backtag. Formmäßig missglückte Plätzchen verschwanden sofort in hungrigen Kindermäulern. Die duftenden Leckereien wurden nach dem Auskühlen feinsäuberlich in zahlreiche Metalldosen geschichtet und mit der Warnung, die Dosen nicht vor Weihnachten zu öffnen, im großen Wohnzimmerschrank eingelagert. An dieses Gebot hat sich freilich keiner so recht halten wollen und man versuchte durch geschickte Neuordnung das Fehlen von Plätzchen zu vertuschen. Wie wohl jeder, behaupte ich auch heute noch, dass die Plätzchen meiner Mutter wohl die besten waren, die es gab. Falls noch welche da waren, was nie vorkam, hätten sie theoretisch auch noch an Maria Lichtmess´ ihre Knusprigkeit und Knackigkeit, den feinbuttrigen Geschmack und ihre Konsistenz bewahrt und sich nicht wie unsäglich viele andere, die wir von Kunden geschenkt bekamen, in unseelige Brösligkeit, staubige Sandigkeit oder feucht-weicher Bisslosigkeit verwandelt. Da die drei männlichen Martins heimliche Besucher der Schrankdosen waren, blieben für die Weihnachtsfeiertage gerade noch welche übrig – quasi nur die “Unterschicht”.
Wichtig war für meine Mutter beim Backen immer, dass die Anisplätzchen „Füße“ bekamen. Und die erhielten „sie“ rückblickend eigentlich immer.
Fortsetzung folgt! „Das Weihnachtsgeschäft“
Einige Anmerkungen zum Weihnachtsplätzchenbacktag:
Wie schon von Conny erwähnt, waren die Plätzchen von unserer Mutter die besten und diese Qualität wurden dann auch innerhalb der Metzgerei weitergegeben. Denn an jenem besagten Sonntag nach Nikolaus blieben die meisten weiblichen Angestellten der Metzgerei in der Semmelstrasse und lernten die Rezepte meiner Mutter (gelernte Diätassistentin) kennen. Nach einem gemeinsamen Frühstück ging es dann ans Teigmachen, Ausstechen und Backen. Auf der Heizung und allen verfügbaren Tischen standen Backbleche, auf denen Plätzchen auf den Backofen warteten. Zum Teil waren die Teigmengen so gross, dass Geräte aus der Wurstküche zum Einsatz kamen. Blech für Blech wanderte in die diversen Backöfen.
Als gemeinsames Mittagessen war nach all dem Süßen Schaschlick angesagt,
Für uns Kinder gab es immer wieder Teigreste zum Naschen. Ein faszinierender Tag.