Oma Mathilde war meine über alles geliebte. Sie hat mich verwöhnt. Leider ist sie (*1900) bereits 1966 verstorben. Was sie alles durchgemacht hat: 22. Dezember 1944 ihr Mann Konrad Martin verstirbt, kurze Zeit später die Nachricht, dass ihr ältester Sohn Georg am 28. Dezember 1944 in Kurland/ Russland gefallen war. Und als ob das noch nicht genügt hätte, am 16. März 1945 Bombenvolltreffer in der Semmelstraße 23. Geschäft und Wohnhaus in Trümmern.
Unglaublich und ihre Kinder, Maria 19 Jahre alt ( später verheiratete Kirchner) und mein Vater Konrad, damals 17 Jahre und als Flakhelfer in Schweinfurt, gab´s auch noch. Mein Vater, der in Randersacker als Metzgerlehrling tätig war, schwebte zudem wegen eines Blinddarmdurchbruchs zwischen Leben und Tod.
Kurz nach dem Bombenangriff begann sie bereits mit dem Wiederaufbau eines Hinterhauses mit Wohnung und Wurstküche. Bis zu ihrem Tod stand sie noch regelmäßig in der Metzgerei Martin. Ich war oft bei ihr und genoss es.
Es gab immer Honigbrote zu futtern und bisweilen kochte sie mir mittags meinen geliebten Spinat. In der ganzen Wohnung herrschte ein „omaeigener“ Geruch, an den ich mich gern erinnere. Irgendwie war es damals so, dass man dachte , Leber zu essen, sei unwahrscheinlich wichtig für den kindlichen Organismus. Ich mochte keine. Partout nicht. Sobald ich den Geruch bzw. Geschmack wahrnahm, überkam mich Ekel. Da man wusste, dass ich auf Spinat Heißhunger hatte, „häckselte“ Mathilde Leber derart klein und versteckte diese atomisierten „Spurenelemente“ im frisch zubereiteten Spinat. Aber in der Beziehung konnte man mir nichts vormachen: den ersten Löffel sofort wieder “rausgespetzt”. Im Mund war schon Ende Gelände! List gescheitert. Man bot mir nie mehr Leber an. Dafür musste ich eine Zeitlang „Lebertran“ schlucken. Den musste ich unter Aufsicht meiner Mutter morgens vor der Schule einnehmen. Zum Glück war er in festen Gelatinekapseln eingeschlossen. Mund auf – Kapsel rein – und schlucken. Nase zuhalten. Schnell Tee danach. Würg! Wenn man sich nicht beeilte, entfaltete sich der liebliche Geschmack schon im Mund. Aus diesem Grund kann ich heute noch große Tabletten mühelos runterschlucken. Glaubt´s mir.
Der Bub kriecht Eierlikör
Unglaublich – aber eine andere Vorliebe meinerseits war Eierlikör. Ich hätte ihn literweise schlürfen können. Mathilde war gegenüber Alkoholika keine Kostverächterin. Man sagte damals, sie schöppele gern. Regelmäßig kam sie abends zu uns in den ersten Stock und fragte meinen Vater, ob er nicht auch nen Schoppen wolle. Der trank dann ihr zuliebe ein Gläschen mit, hatte aber mit Alkohol generell wenig am Hut. Ich dagegen stand auf süßen Eierlikör und bediente mich gerne unerlaubt und heimlich an unserem barocken Spirituosenschränkchen im Wohnzimmer. Das fiel auf und es gab Ärger. Mathilde produzierte dann für mich „Kindereierlikör“ mit reduziertem Alkoholgehalt. Das war supernett. Übrigens stellte Mathilde nebenbei Schnaps her. Im Herbst stand im Hinterhöfle der Semmelstraße ein Holzfass, in dem Spirlinge (äußerst süßes gelbes Steinobst) aus unserem Garten vor sich hingärten.
Omas Garten – das Johannisbeermeer
Sommers war Gartenzeit – natürlich auch für Mathilde. Sie hegte und pflegte ihn, das dazugehörige hübsche, adrette Sommerhäuschen war eine Pracht. Es hatte das Flair eines französischen Schlösschens mit seinem großzügigen Fenster und den bleiverglasten Putzenscheiben. Angebaut wurde alles, was die Küche so brauchte. Obstbäume verschiedenster Art, Stachelbeeren und vor allem Johannisbeer-Sträucher. Unter den Büschen alles fein gehäckelt (von Hacke!), der Boden gelockert und das Unkraut penibel gejätet. Umso schlimmer war es dann, wenn die Enkel wieder etwas anstellten und die Gartenordnung in Unordnung brachten. Einmal zum Beispiel kam einer von uns auf die Idee, man könnte doch aus dem Bereich der Johannisbeersträucher ein Stromland, so wie in der Antike, herstellen. Den Schlauch in der Nähe des Häuschen verankert und voll auf. Tatsächlich kämpften sich bald braune Schlammfluten durch die Sträucher, das Nildelta mit dem breiten, lebenspendenden Strom war nachgebildet. Mathilde schimpfte. Wir sorgten schon für Aufreger. Auch als ich mich splitterfasernackt auf den Weg machte die Ebertsklinge in Richtung Sieboldshöhe zu erkunden. Oma war nervlich aufgewühlt, da ich urplötzlich verschwunden war. Von einem Passanten erhielt sie dann die Info, dass ein „Klenner“ nackig die Ebertsklinge “naufgerannt” wär`. Also schnell hinterher, Mathilde.