Würzburger Geschichten: Sonntagsgottesdienst in kratzigen Hosen

Eine meiner Lieblingsgeschichten. Viel Vergnügen beim Lesen! 


Katholisches Würzburg, katholische Eltern, katholische Kinder heißt Sonntagsgottesdienstpflicht! Jeden Sonntag waren mein Bruder Schorsch und ich wahnsinnig motiviert den Gottesdienst zu besuchen. Denn eigentlich war der Sonntag der einzige Tag, an dem wir ausschlafen konnten bzw. eine ruhigere Kugel schieben konnte. Samstags war ja damals bis 11.20 Uhr Schule, danach war Mitarbeit im elterlichen Betrieb angesagt. Unsere Eltern gingen entweder am Samstagabend oder in aller Frühe zur Messe. Für uns war immer die 10 Uhr Messe in der Franziskaner Kirche angedacht. Sonntags war Jeanstrageverbot. Zum sonntäglichen Messegang „durften“ nur Stoffhosen in Grau oder Schwarz getragen werden. Diese Dinger kratzten furchtbar, also besaßen einen miserablen Tragekomfort, der vor allem auf den ersten hundert Meter einen staksigen Gang zur Folge hatten, denn das Kratzen ließ erst leicht nach, wenn sie „warm“ gelaufen waren. Die Hosen wurden generell beim Wöhrl (damals noch in der Eichhornstraße, wo heute ein Drogeriemarkt drin ist) gekauft.

Mutter ging dort immer allein einkaufen und brachte tütenweise Hosen, Jacken und Pullover zur Auswahl mit. Werktagabends war  im Wohnzimmer dann „Kleiderprobe“. Was nicht gefiel, wurde von ihr am nächsten Tag zum Wöhrl zurückgebracht. Eigentlich war´s schon so ähnlich wie heute mit dem Online-Shopping.  Anprobieren und bei Nichtgefallen mit Mutter zurückschicken. Sonntags vor dem Kirchgang also Wöhrl-Stoffhosen in Schwarz oder Grau an. Entsprechend jämmerlich begann also der Sonntag, an dem ich mich lieber ganztägig mit den Elastolin-Figuren “herumgeschlagen” hätte. Wir bummelten also in mäßigem und etwas breitbeinigen Schritt Richtung Theaterstraße und sinnierten über unser strategisches Vorgehen, denn unsere Mutter fragte uns bisweilen über den Gottesdienst aus: Evangelium ?, Predigt? und wer? so drin war! Als wir endlich durch den Seiteneingang in den Weihrauch geschwängerten Sakralraum eintraten, waren schon die ersten fünf Minuten rum. Damals waren die Kirchen noch proppenvoll. Wir positionierten uns dann immer geschickt links an einem Rittergrabmal der Wetzhausener gleich neben dem Seiteneingang, also in der Nähe des Fluchtweges  .

Unsere Blicke scannten die anwesenden Gläubigen: Irgendein Bekannter dabei? Nö. Merk´ dir das Evangelium! Der Anfang der Predigt ist auch noch wichtig. Dann erfolgte der geordnete Rückzug – im Notfall konnten wir Rede und Antwort stehen. Endlich draußen. So jetzt haben wir noch mindestens 25 Minuten Zeit – vor 11.15 Uhr brauchen wir in der Semmelstraße nicht aufzuschlagen. Wer nun glaubt, wir wären ziellos durch die Innenstadt gebummelt, irrt sich gewaltig. Also auf!  Erst einmal zum Vogel Peter ( damals die Zoohandlung in der Ursulinengasse). Und für uns als Aquarianer besonders attraktiv. Mal gucken, ob der neue Fische in den Schauaquarien hat. Noch eine Menge Zeit – dann statten wir dem Samen-Fetzer am Barbarossa-Platz/ Ecke Kaiserstraße auch einen Besuch ab: „Schau´mal, dem sind ein Haufen Fische verreckt! Die haben alle die Pünktchenkrankheit! Glaub´jetzt können wir heim.“ Kurz vor der Metzgerei gingen wir unser „Alibi“-Angaben noch einmal durch. Wer war noch in der Messe? War nicht die Frau Hahnenkamm  drin? Stimmt – wenn du´s sagst, die war drin! “

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