(Wer die bisherigen Teile verpasst hat, gibt bei der Lupe „Krimi“ ein!)
Müller kommt auf dem Rückweg zu seinem Auto wieder bei Anton vorbei, der gerade sein Auto noch mal nachledert. Danke für den Hinweis mit dem Nachbarschaftsstreit. Gern geschehen. Kennen Sie den Brandner, fragt Anton. Ein unsympathischer Zeitgenosse. Der kämpft mit harten Bandagen. Seiner Meinung nach hat Brandner Dreck am Stecken. Jeder weiß es, aber keiner traut sich, was gegen den Herrn zu unternehmen. Der hätte seine Spezl überall. Da fließt auch Geld, meint Anton. Müller solle diesem Herrn doch mal auf den Zahn fühlen. Der ginge über Leichen, wenn´s zu seinem Vorteil gereicht.
Am Dienstwagen wartet schon Naßer Zigarette rauchend. Verwertbare Neuigkeiten? Vielleicht. Ein Immobilienmakler, der Druck ausübt und Frau Wasner scheint es vielleicht doch mit der Treue nicht so genau zu nehmen. Zwei Ansatzpunkte. Testament sollte man auch nachfragen.
Kapitel 4
Landhotel in den Weinbergen. Sarah liegt neben Patrick im Bett. Heftige Liebe. Austausch von Körperflüssigkeiten. Ich muss dich unbedingt sehen, bat Sarah aus der Telefonzelle. Patrick, erst am Donnerstag. Martina fährt mit den Kids zu ihrer Mutter. Sarah steht auf und zieht den Vorhang zurück. Das Sonnenlicht der frühlingsfrühen fränkischen Toskana fällt so wunderschön. Patrick richtet sich im Bett auf. So wunderschön. Sarah dreht sich um, sie müsse den Ermittlern reinen Wein einschenken. Das Verhältnis. Du weißt, was ich darüber denke. Das sei dann für alle Beteiligte das Ende, gibt Patrick zu Bedenken. Das macht alles kaputt. Martina wird mich ausziehen bis aufs Hemd. Von den Kindern gar nicht zu reden. Sarah und Patrick hatten sich vor einem Jahr kennen gelernt. Prof. Patrick Engert, international renommiert, leitet seit drei Jahren einen interkonfessionellen Projektchor, der bei Mozart-Fest und Bachtagen Deutschlandweit zu überzeugen weiß und stets fest eingeplant ist.. Die Chordamen waren von Beginn an von der charmanten und galanten Art des Chorleiters hingerissen. Sarah war erst vor zwei Jahren zu einem Vorsingen eingeladen und aufgenommen worden. Engert bescheinigte ihr eine hervorragende Altstimme. Nach einer Chorprobe war man sich dann näher gekommen. Ein Absacker in dem kleinen Weinlokal . Sarah hätte so wunderschöne Augen. Ein Kompliment, das eine in der Mitte der Fünfziger stehende Frau gerne von einem jüngeren Mann aufsaugt. Sarah hatte sich in den smarten, zuvorkommenden Mann verguckt. Gänsehaut. Innerlich aufgewühlt. Sie trafen sich dann öfter nach der Probe, telefonierten miteinander. Ihr Tete à Tete verlief von den anderen unbemerkt – da waren sich beide sicher und vorsichtig -, aber zunehmend intensiver. Lügengerüste wurden für die heimlichen Treffen beidseitig aufgebaut. Spuren verwischt. Sarah wusste für sich, dass sie sich niemals von Norbert trennen würde. Klar die körperliche Attraktivität war zu Patrick kein Vergleich. Es war mehr das gelegentliche Genießen, das punktuelle Fallenlassen, aber deswegen eine dreißigjährige Beziehung zu beenden? Einem absolut verlässlichen Partner und Freund Adieu zu sagen? Niemals. Bei Patrick ist es anders. Er leidet unter der Knechtschaft seiner erfolgreichen Oberstaatsanwältin. Klischeehaft wie in einer Rosamunde Pilcher Folge. Wer mag es schon, permanent untergebuttert zu werden? Ewige Nerven aufreibende Nörgeleien: DU solltest…. DU könntest….. In den Stunden mit Sarah genießt er nicht nur das Körperliche. Er liebt Sarahs ruhige gelassene Art, dieses Laissez-Faire. Ihre Abgeklärtheit, die Lebenserfahrung. Wie gerne würde er, trotz des Altersunterschieds mit ihr zusammen sein. Patrick ist ein Zauderer, ein Angsthase , der sich vor der eigenen Courage aus dem Staub macht. Eigentlich ist er total spießig, Skandale und Auseinandersetzungen fürchtend, die Angst vor Konsequenzen, wenn seine Frau alle Register bei einer Trennung zöge. Ausziehen bis aufs Hemd. Geschehe im Recht. Nicht selten stieg Zorn und Wut in Patrick auf, wenn Sarah nach dem Liebesakt aufstand, und er wusste, dass sie nun wieder zu ihrem Mann zurückkehren würde. Die vielen Stunden die ihr „Nobbi“ mit Sarah verbringen darf, neide er ihm. Blanke Eifersucht. Wann sie sich wieder sehen würden? Dann könnte man darüber nochmals reden. Vielleicht kann man ja ermittlungstechnisch auch den Ball flach halten. Das muss doch gar nicht an die große Glocke gehängt werden. Sarah hatte den Entschluss zur Beichte allerdings schon gefasst.
Kapitel 5
Naßer hatte Sarah oberservieren lassen und um 8 Uhr den Kollegen abgelöst. Der Duft des Kaffee erfüllt den Innenraum des zivilen Dienstwagens. Die Thermoskanne im Cupholder links, Fotokamera auf dem Beifahrersitz. Zehn Autos auf dem Hotel-Parkplatz in den Weinbergen. 9.30 Uhr Patrick Engert, Cabrio-Haltername durch Kennzeichenabfrage, mit Sonnenbrille kommt und fährt. Naßer notiert. Keine fünf Minuten später, Sarah verlässt das Hotel. Sie schaut sich um. Der Typ im weißen 1er-BMW kommt ihr bekannt vor. Naßer versucht sich abzuwenden. Zu spät. Sarah tritt neben das Auto. N lässt die Scheibe herunterfahren. Sarah beichtet.
Martina öffnet den Briefkasten. Überfliegt die Post. Patrick sitzt am Frühstückstisch. Für dich. Polizeipräsidium Würzburg. Patrick zuckt zusammen. Er sei neulich geblitzt worden, lügt er. Nach der vormittäglichen Probe mit dem Orchester der Musikhochschule fährt Patrick zum Präsidium.
Polizeiliche Vorladung/ Vernehmung
Die Vorladung erfolgt in aller Regel schriftlich. Der verletzte Tatbestand wird Ihnen mitgeteilt. Weiterhin erfahren Sie den Ort und den vorgesehenen Beginn der Vernehmung. Vor der Vernehmung wird Ihnen erläutert, welche Tathandlung Ihnen vorgeworfen wird und wer der Geschädigte ist.
Er muss vor dem Vernehmungsraum im Kommissariat warten. Müller eröffnet das Gespräch mit der Aussage Sarahs über das Verhältnis mit ihm. Engert bittet die Sache diskret zu behandeln. Er hätte doch einiges zu verlieren. Seine Frau wisse also nichts davon. Wäre das ein Scheidungsgrund für seine Frau? Wahrscheinlich ja, gibt Engert zu. Wie stark seine Bindung zu Sarah Wasner wäre? Die Sache mit Frau Wasner sei nur eine Affäre. Gab es deren mehrere? Engert bejaht einige Techtelmechtel mit Musikstudentinnen und weiteren Chordamen gehabt zu haben. Sarah meinte bei der Vernehmung, dass sie bei ihm Anflüge von Eifersucht herausgehört hätte. Engert streitet vehement ab, es sei nur ein Seitensprung aus dem Ehealltag Nichts weiter. Habe er Norbert Wasner mal persönlich kennen gelernt? Er hätte Wasner nach den Konzerten gesehen und auch einige Male mit ihm gesprochen. Wo er am Tatabend gewesen wäre? Man werde ihn doch nicht verdächtigen? Am Tatabend war seine Frau mit den Kindern bei einer Freundin gewesen. Er war allein zuhause und habe Cello gespielt. Seine Frau sei dann etwa um 21 Uhr zurückgekehrt. Also keine Zeugen, kein Alibi für die Tatzeit. Das müsse natürlich überprüft werden. Ob seine Frau von dem Verhältnis gewusst haben könnte? Patrick bestreitet dies. Und Sarah? Wie sieht sie die Beziehung? Sie teilt meine Auffassung. Nur ein Ausleben des Triebes, ein Entfliehen des Ehealltags. Mehr nicht. Engert wird entlassen.
Ekelhaft der Typ, meint Naßer. Ist in Frau Wasner vernarrt. Zuhause kuscht er. Kein Alibi, so Naßer. Trotzdem traue ich ihm die Tat nicht zu, meint Müller. Der hat zu viel Schiss, ein Weichei, das keinen Hammer schwingt.
Sarah ist froh reinen Tisch gemacht zu haben. Die erste Zeit der Trauer war durch die notwendigen Tätigkeiten leicht zu ertragen bzw. abgefedert. Es war Trubel, die Kinder mit Anhang da. Beerdigungsangelegenheiten mit dem Institut abklären, ausräumen, nach Dokumenten suchen, Schriftverkehr erledigen. Patrick ist ein unregelmäßiger Zeitvertreib, sie braucht wenigstens ab und zu körperliche Wärme. Im Grunde die bequemste Art, problemlos und konfliktfrei. Sie dachte über Patrick nach – den smarten. War es für ihn dasselbe? Sie musste an manche Äußerung denken. Es fällt ihm schwer zu teilen. Die abfälligen Äußerungen über Norbert – den alten Trottel. Er hasste ihn insgeheim, oder? Sarah machte sich von dem Gedanken los. Das könne man Patrick nicht zutrauen, so gut kenne sie ihn. Außerdem wolle er ja auch aus finanziellen Gründen die Ehe mit Frau Oberstaatsanwältin aufrechterhalten.
Der ganze Kram nach einem Sterbefall ist erledigt, Sarah fühlt sich so leer. Diese ungewohnte Stille im Haus. Nachts schreckt sie oft aus dem Schlaf auf, langt intuitiv auf die linke Seite, wo Norbert mit dem Gesicht zur Außenwand zu ruhen gedachte. Sein ruhiges Atmen im Tiefschlaf, auch sein Schnarchen bisweilen, jetzt obsolet. Lautlosigkeit. Keine Geräusche aus dem Arbeitszimmer. Keine Musik, kein Gitarrengeklimper. Die Luft ohne Stanleys Ausdünstungen. Hundehaare Fehlanzeige. Jetzt wäre der Fellwechsel gewesen. Keine Tappen von nassen Hundefüßen. Wie oft hatte sie Stanley verflucht? Herr und Hund fehlen. Das Rasenmähen obliegt jetzt ihr. Morgen. Sarah beschließt einen Nachmittagsspaziergang zu machen. Nicht selten hat sie Norbert beim Ausführen des Hundes begleitet. Frau Schmitt begegnet ihr. Schmitt ist es unangenehm. Sie grüßt kurz. Was soll man zu einer Witwe sagen? Sarah ist es lieber so. Sie hat keine Lust auf bemitleidende Gespräche. Norbert war da anders, er hat dann immer irgendwelche Dinge erzählt. Meist irgendwelche Belanglosigkeiten. Das war Sarah oft peinlich, besonders, wenn er von Umbauten im eigenen Haus sprach. Die Leute dachten, man würde ein weiteres Stockwerk aufsetzen oder anbauen, dabei war nur der Gas- und Wasserinstallateur oder der Elektriker zu Gange.
Apropos Umbau. Bei Prof. Funke geht die Entkernung des Hauses voran. Das wäre nun tägliches Gesprächsthema gewesen. Nach jedem Gang mit Stanley hätte Norbert über den Fortschritt des Umbaus berichtet. Dabei hätten seine Augen geleuchtet. Das wird ihr jetzt fehlen. Am Anfang des Weinberg Straße braust ein grüner Geländewagen an ihr vorbei. Wenig später sieht sie Anton vor seiner Garage neben dem Wagen stehen. In Franconia-Grün gekleidet. Sie nickt ihm zu. Er kommt auf Sarah zu und nuschelt „Herzliches Beileid“. In der Anhängermulde liegt ein Wildschwein. Die Bauchunterseite offen. Ausgeweidet. Als sie weitergeht, spürt sie begehrliche Blicke in ihrem Rücken. Bei Wiebelsberg sind die Läden unten. Antons Mutter hat sie schon seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen. Man weiß nicht viel über Anton. Er lebt mit seiner Mutter zurückgezogen. Eigentlich kennt man ihn nur als Autopfleger oder Jäger. Unbeschriebenes Blatt, aber seit sie denken kann, hier im Viertel wohnend. Ledig jedenfalls. Aber da fällt ihr ein, Norberts Vater habe Antons Vater mal vor 50 Jahren beim Klauen von Sand auf der Baustelle nebenan erwischt.
Auf Vorladung ist Immobilienmakler Brandner erschienen. Zornesröte wärmt ihm das Gesicht. Vorwürfe folgen. Was man von ihm wolle? Zeit ist Geld. Er sei Unternehmer und kein Beamter. Müller wird stinkig und ruppig. Man könne ihn auch noch länger warten lassen. Brandner fährt herunter. Ob er sich an den soundsovielten erinnere? Was er gemacht habe? Unterwegs. Von Frankfurt von einem Geschäftsfreund kommend. Müller spricht die Baustreitigkeiten an. Es wäre ja seit Jahren eine offene Feindschaft gewesen. Zu Brandners Nachteil. Welche Kosten ihm durch die Hartnäckigkeit Wasners entstanden wären? Unbedeutend. Er hätte deutschlandweit viele Eisen im Feuer. Nur eines von hundert Bauprojekten. Solche Auseinandersetzungen seien an der Tagesordnung, versichert er. Müller und Naßer geben sich zufrieden, keinerlei weitere Fragen. Also der fällt aus. Der Baustopp spielt in der Gesamtheit seines finanziellen Engagements wohl eher eine untergeordnete Rolle. Glaube ich auch, stimmt Naßer bei. Wir kommen einfach nicht weiter. Mist. Halten wir fest: Die Tat an Wasner war vielleicht doch kein gezieltes Vorgehen. Die Tat eines Verrückten. Müller sieht schon die Schlagzeile groß in der Main Post. Hammermörder schlägt wieder zu. Aber was war dann der Auslöser? Warum gerade Wasner? Zur falschen Zeit am falschen Ort?
Kapitel 6
Sarah arbeitet seit Montag wieder in der Apotheke. Timo hatte ihr den Wiederbeginn der Arbeitsaufnahme freigestellt. Arbeit lenkt ab. Mittagspause. Handy vibriert, Patrick ist es, Sarah drückt ihn weg. Sie will nicht mehr.
Er hätte sie angelogen. Martina Brandner-Stubner explodiert förmlich. Die Kinder sind zum Glück im Garten. Helmut – seines Zeichens befreundeter Staatsanwalt – hätte ihn zufällig im Kommissariat gesehen. Aus dem Vernehmungsraum kommend. Es wäre doch jetzt ihr gutes Recht zu erfahren, was da los wäre. Sie könne auch anrufen. Patrick sieht ein, dass ein Leugnen zwecklos ist. Patrick lässt sich neben Martina auf der Couch nieder. Er bemüht sich um eine harmlose Darstellung eines harmlosen Seitensprunges. Der Schuss geht nach hinten los. Oberstaatsanwältin zerlegt Ehemann und nimmt sofort körperliche Distanz an. Wehrt ein Zunahekommen ab. Seit wann läuft das? Womöglich, sei er in dem Mord verstrickt. Liebesdienst vielleicht? Warst du an diesem Abend nicht außer Haus? Schlusswort. Ok, das war´s. Er solle, sich umgehend ein Hotelzimmer nehmen oder zu ihr ziehen. Geschiedene Leute. Er könne sofort seine Sachen packen. Patrick ringt um Fassung. Scherbenhaufen. Martina schließt hinter sich die Terrassentür und geht zu ihren Kindern in den Garten. Sarah anrufen. Sie geht nicht ran. Patrick packt rasch eine Sporttasche mit dem Nötigsten. Was er vermeiden wollte, ist eingetreten. Ja, Scherbenhaufen.
Sarah schaut auf ihr Handy 15 Anrufe. 10 Nachrichten. Patrick bittet um Rückruf, er sei bis 20.15 Uhr in der Hochschule. Sarah zögert, wählt die Nummer. Patrick ist mit den Nerven durch. Sie habe ihn vor die Tür gesetzt, ob er bei Sarah vorbeikommen könne. Es widerstrebe ihr, ihn heute zu sehen. Sie müsse erst mal Abstand gewinnen. Er erinnert an die erste zusammen verbrachte Nacht im Landhotel. Er möchte jetzt Nägel mit Köpfen machen, er liebe sie. Er brauche sie, gerade jetzt. Ob er nicht doch bei ihr vorbeikommen könne, dann würde man weiter sehen. Sarah bittet ihn nicht weiter auf sie einzudringen und bricht das Gespräch ab.
In den nächsten Tagen blockiert Sarah die Anrufe Patricks.
Müller und Naßer tappen weiter im Dunkeln. Keine neuen Spuren. Kein Motiv erkennbar. Es Testament bedenkt vor allem die Kinder. Sarah hat den Nießbrauch des Hauses. Bei einer neuerlichen Vernehmung Brandners erfahren sie, dass Sarah den baulichen Rechtstreit beenden will.
Der Fall wird erst mal beiseitegelegt. Ungelöst. In regelmäßigem Turnus nimmt Müller die Akte wieder zur Hand. Wie oft ist er schon den Gassiweg entlang gegangen. Auch heute wieder. Allmählich kennt er alle Anwohner. Die auf der Straße spielenden Kinder grüßen schon sogar den Kriminaler und fordern Müller zum Schusswechsel auf. Er solle doch mal seine Waffe zeigen. Das Haus von Prof. Funke wird demnächst von einem jungen Paar mit zwei kleinen Kindern bezogen. Die Hecke von Familie Grönnert wuchert vor sich hin. Dass die das nicht sehen?
Herr Schmitt fährt ein neues Sportwagencabrio mit blonder Beifahrerin. Irgendwas habe er in seinem Leben doch falsch gemacht, sinniert Müller. Allmählich kenne er wohl jeden Stein auf seinem Weg zu der Weinbergshecke, an der Herrchen und Hund gefunden wurden. Sarah hat an der Stelle ein kleines Holzkreuz errichtet. Die kleinen Blumensträußchen werden scheinbar wöchentlich neu hingelegt. Würde das eine Mörderin tun? Wohl kaum. Nein Sarah war es nicht. Wo hat Norbert seinen Mörder getroffen? Aus welchem Grund greift der zum Hammer? Hat er hier gewartet? Oder ist er Norbert gefolgt? Wollte er mit seiner Tat etwas rächen? Vertuschen? Ungeschehen machen? Hat sich Norbert etwas zu Schulden kommen lassen? Hatte er selbst Dreck am Stecken? Müller war von der Gedankenrichtung begeistert. Diese hatte man gleich zu Anfang schnell verworfen. Aus gutem Grund damals. Ein Beamter in leitender Verwaltungsposition , der im August in den wohl verdienten Ruhestand geht, der sich nie im Leben etwas zu Schulden kommen lässt. Bis vor kurzem Pfarrgemeinderatsmitglied. Mit dem Pfarrer auf du und du. Engagiert und freigiebig. Vielleicht alles nur Fassade. Tiefgehende Recherche über Wasner. Alles durchleuchtet. Norbert Wasner hat eine reine Weste. Absolut weiß.
Kapitel 7
Naßers Schädel schien zu platzen. Sein Hemd unterhalb der Brust warm durchfeuchtet. Es war dunkel. Geknebelt. Die Hände auf dem Rücken fest zusammengebunden. Verschnürt wie die Zeitungspakete am Straßenrand, wenn Altpapiersammlung ist. Über seinem Kopf eine sackleinerne Verhüllung und in einer Wolldecke eingewickelt. Er lauscht dem Fahrgeräusch. Dann Stille. Eine Autotür wird geöffnet. Schritte entfernen sich. Stille. Andere Autotür wird geöffnet. Man entnimmt irgendetwas. Schritte entfernen sich. Naßer versucht sich – das lebende Paket zu bewegen. Hände frei vielleicht. Der Kopf schmerzt. Spürt er eine beginnende Eintrübung? Die warme Flüssigkeit hat die Unterhose erreicht, seinen linken Oberschenkel. Zwecklose Bemühungen. Naßer horcht in die Dunkelheit. Waldgeräusche. Regelmäßiges Tun in der Nähe. Was ist das für ein Geräusch? Naßer durchforstet sein Gehirn. Die Zeit vergeht. Gleichmäßige Geräusche, schweres Atmen. Naßer wird müde, die ganze linke Seite ist nun nass. Naßers Gehirn arbeitet. Was? Wie? Wo? Schritte nähern sich. Ganz nah. Öffnungsgeräusch Heckklappe. Naßer zuckt und ruckt panisch. Man fasst ihn und lässt ihn wie einen Sack Kartoffeln über der Ladekante auf den Boden plumpsen. Naßer versucht zu formulieren, zu schreien, erntet nur erstickende Laute, dumpf verhallendes Quengeln.
Jemand packt ihn. Ein kräftiges Seil wird unter den Achseln hindurchgeschoben. Hallo, was soll das? Naßer bewegt sich hin und her. Versuch auf die Füße zu kommen – vergeblich. Die Last setzt sich in Bewegung. Man schleift ihn über nassen Waldboden. Fünf, zehn, fünfzehn, zwanzig Meter weit, dazwischen pausiert er. Atmet tief. Naßer hört sein Atmen. Der Zug geht weiter. Dann stopp. Pause. Man packt ihn erneut, zieht und lässt ihn gleiten. Tief. Die Raumakustik hat sich verändert. Dumpf. Veränderter Schall. Naßer versucht zu schreien. Der Knebel zieht sich stramm in die Mundwinkel. Erdhaufen, Schaufel. Das Geräusch einer Beerdigung. Schaufelladungen machen ein dumpfes Geräusch. Erde mit Blättern vermischt bedeckt seine Brust, seine Beine, seinen Kopf. Naßer versteht. Er will kämpfen. Kopf drehen. Luftraum schaffen. Die Last wird schwerer. Dumpf. Brustkorb hebt und senkt sich, aufbäumender Lebenswille, zunehmend wirkungsloser. Zuletzt nur noch krampfhaft.
Montag. Naßer nocht nicht da? Jenny soll mal anrufen. Meldet sich keiner weder Handy noch Festnetz. Steckt vielleicht im morgendlichen Stau. Müller stürzt sich in die Arbeit. Alte Fälle wieder aufgreifen. Immer noch nichts von Naßer? Jenny verneint. Wen anrufen? Naßer ist ledig, Single-Haushalt. Er weiß wenig über seinen Kollegen. Immer noch Mailbox. Kollege Sturm erscheint. Vermisstenanzeige einer Frau. Ihr Freund namens Thomas Naßer wird seit Sonntag vermisst. Ist noch da. Müller begibt sich an die Kanzel. Sie sei die Freundin von Thomas. Sie wären am Sonntag verabredet gewesen. Er hätte auf keinen Anruf oder Mitteilungen reagiert. Sie mache sich Sorgen, das sei sie nicht von ihm gewohnt. Sie war bis Samstag in Hamburg. Dienstlich. Letztes Telefonat war am Freitagnachmittag. Sie war bei seiner Wohnung. Auto steht davor. Sie hätte keinen Wohnungsschlüssel. Müller bietet ihr an mit ihr zur Wohnung zu fahren. Man klingelt. Nichts. Ob sie wisse, ob es einen Hauswart gebe. Susanne verneint. Der Bewohner aus dem Souterrain kann helfen. Der Hauseigentümer öffnet. Verlassen, Computer läuft, alles normal, halb gefülltes Limonadenglas auf dem Wohnzimmertisch. Susanne meint, seine Turnschuhe würden fehlen. Außerdem hätte er immer sein Rennrad mit hoch genommen. Blaues Rad. Ist also mit dem Rad unterwegs gewesen. Unfall, läutet es bei Müller. Man verlässt die Wohnung. Müller klappert telefonisch die Unfallklinken ab. Fehlanzeige.
Handyortung
Für die Ortung einer Person mittels eines Handys oder GPS-Sensors brauchst man eine schriftliche Einwilligung von der betroffenen Person. Der Aufenthaltsort gehört zur den personenbezogen Daten, welche die Datenschutzgrundverordnung schützt.
Solange sich ein Mobiltelefon im Standby-Modus befindet, weiß der Provider nur grob, in welcher Gegend („Location Area“) sich ein Gerät befindet. Dieser Bereich kann mehrere Quadratkilometer und viele Funkstationen umfassen. Um den Standort genauer bestimmen zu können, senden die Sicherheitsbehörden eine „stille SMS“ an das Handy. Der Empfang der SMS bewirkt eine Rückmeldung des Mobiltelefons bei der Funkzelle. Der Provider sieht damit, in welcher Funkzelle genau das Telefon eingebucht ist und kann diese Information an die Behörden weiterreichen.
Die Handyortung verläuft im Sande. Das letzte Mal hat Naßer von seiner Wohnung aus mit Susanne telefoniert. Müller bittet Susanne sich sofort zu melden, falls Naßer sich melden sollte. Er wolle, das selbe tun. Vermisstenmeldung in der Main Post.
Main Post vom24.4. Lokales
Magnetfischer findet Rad des vermissten Polizisten
Müller ist fertig. Das Rad im Fluss. Am Rad keine Spuren eines Unfalles oder Gewalteinwirkung. Man befragt Verwandte, Bekannte und natürlich Susanne, ob Naßer psychische Probleme, Medikamenten-, Drogen- oder Alkoholprobleme gehabt hätte. Suizidgefahr? Auch Müller verneint. Netter, zu Späßen aufgelegter, ausgeglichener Kollege. Die Aufrufe im Fernsehen und Radio, die Vermisstenanzeigen führten zu keinen Hinweisen. Genauso Helikopterflüge mit Wärmebildkamera.
Müller hat jetzt eine junge Kommissarin zugeteilt bekommen. Frau Thein. Susanne ruft immer wieder an, ob es Neuigkeiten gäbe. Naßers Verschwinden bleibt rätselhaft. Wo ist er an jenem Freitagabend hingefahren? Die Wasserschutzpolizei hat keinen Leichenfund gemeldet, auch an den Schleusen wurde nichts angetrieben. Müller sucht zum letzten Mal in der Wohnung nach Hinweisen, bevor sie aufgelöst wird. Sinnlos eigentlich, denn die Spurensicherung hatte akribisch gearbeitet. Spurlos.
Womit hat sich Naßer an jenem Freitag seines Verschwindens beschäftigt? Müller versucht ihren Diensttag zu rekapitulieren. Aktenstudium. Jeder für sich. Woran hatte er gearbeitet. Er fragt Thein, wo sie Naßers Schreibtischkram hinhätte. Sie verweist auf einen Aktenwagen der gleich neben dem Kopierer steht. Die Mordakte Wasner liegt oben auf. Farbige Aufkleber lugen aus dem prall gefüllten Schnellhefter. Wie soll das mit seinem Verschwinden zusammengehen? Gibt doch keine Verbindung. Woher auch? Aus welchem Grund? Müller legt die Akte auf seinen Schreibtisch und nimmt sich vor, den Fall Wasner wieder neu zu betrachten.
Müller besucht Sarah Wasner. Er wolle mal vorbeikommen und auch nachfragen, ob ihr vielleicht mit Abstand doch noch was eingefallen wäre. Sarah verneint und wiederholt, dass Norbert keine Feinde gehabt hätte. Alles verlief normal. Müller stellt durch das Fenster fest, der Bau geht voran. Ja sie habe sich mit Brandner arrangiert. Es gehe ihn ja nichts an, sie brauche nicht darauf zu antworten, aber sei sie noch mi Engert liiert. Sarah verneint, die Sache wäre endgültig vorbei. Sie habe auch keinen Kontakt mehr zu Engert. Sie wisse nur, dass Patrick von Frau und Kinder verlassen wurde. Er wohne nun in einem Vorort. Müller bricht auf. Wieder läuft er die Weinberg Straße entlang in Richtung der Weinberge zum Tatort. Unter dem Holzkreuz liegt wieder ein nettes Sträußchen. Sie war es nicht, denkt Müller. Er kennt sich jetzt bestens aus in diesem Villenviertel. Er sieht inzwischen auch geringste Veränderungen. Funkes Garage hat einen neuen grauen Anstrich bekommen. Die junge Familie Gretsch hat Prof Funkes einstiges Domizil erworben und die Garage mit Möbeln und allerlei Hausrat bestückt. Spielgeräte verschiedenster Art liegen im Garten herum.. Das Gras rundherum sieht stark gebeutelt aus. Schöne Gegend mit einem dunklen Punkt, sinniert Müller. Bei Arndts ist oder war Kindergeburtstag. Luftballons flattern am Hauseingang. Herr Schmitt braungebrannt und in knapper Badehose werkelt in der Garage. Nur nicht an den Sportwagen kommen. Anton mäht den Rasen. Benzingeruch des Mähers liegt in der Luft. Die Rollos sind unten, es ist ja heute auch extrem heiß. Anton ruft etwas wie „mache ich später, warte bis ich komme“. Kommunikation mit der schwerhörigen Mutter mutmaßt Müller. Auch bei Frau Wiebelsberg ist der Sonnenschutz heruntergelassen. Der Garten äußerst gepflegt. Müller legt hier weniger Wert darauf. Er liebt es eher südeuropäisch verwildert. Lavendel, wuchernde Kräuter wie Oregano, Thymian, Salbei, Rosmarin und Minze. Zypressen und Feigenbäume. Ob sie einen Gärtner hat. Müller beschließt bei ihr zu klingeln. Nichts tut sich. Hat sich ein bisschen hingelegt vielleicht. Diese Hitze. Müller nimmt sich vor, den Besuch erneut zu versuchen. Vielleicht ist der geschwätzigen alten Dame in der Zwischenzeit etwas eingefallen.
Nichts Neues im Falle Naßers. Man hat ein Bild mit Trauerflor im Gang aufgehängt. Thein hat sich gut eingearbeitet. Ideenreichtum ist wichtig in diesem Job. Ein neuer Mordfall erregt die Gemüter in der Stadt. Raubmord nach Einbruchsversuch. Ein Apotheker in der Budweißer Straße im Villenviertel. Zeugenaussagen vorhanden. Flüchtiger PKW, Fabrikat und Farbe bekannt. Bisher kein Fahndungserfolg. Müller und Thein kommen auf dem Rückweg an der Weinberg Straße vorbei. Müller weist Thein an, mal kurz zu halten. Er wolle mal bei Frau Wiebelsberg vorbeischauen. Der Sonnenschutz ist immer noch unten. Anton kommt gerade durch das Gartentörchen vom Wiebelsberg Grundstück. Er wolle wohl zu Frau Wiebelsberg, nimmt Anton an. Wiebelsberg sei auf Kur, so Anton. Sie käme erst in drei Wochen zurück. Er besorge die Post und schaue nach dem rechten. Müller bescheinigt ihm große Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft. Frau Wiebelsberg auf Kur, alles klar. Man fährt wieder ins Präsidium.
Anton wischt sich den Schweiß von der Stirn. Was nun? Er hatte sie im Garten verscharrt. Warum muss die Alte gerade auftauchen, als er das Rennrad verstaut? Sie roch sofort Lunte. Und dann die Frage noch, wo seine Mutter denn sei. Hammer schlägt zu, gnadenlos. Wie lang er ihr Verschwinden wohl vertuschen könne? Müllabfuhr, Versorgungsbetriebe, Bankgeschäfte, Rechnungen, zu leistende Unterschriften. In seinem Kopf rauscht es. Ein Berg von der Alten zu regelnder Dinge fiel ihm ein. Hatte er nicht mit der Angabe “sie sei auf Kur“ den entscheidenden Fehler gemacht. Er hätte sich ob seiner unüberlegten Aussage in den Hintern beißen können. Da war nicht mehr herauszukommen. Nur ein Hinauszögern. Früher oder später würde ihm Müller auf die Schliche kommen. Anton ging zurück auf sein Grundstück. Das Seil in der Garage. Ein kurzer Ruck, den Stuhl zur Seite kicken. Blasenentleerung.
Müller erhält einen Anruf von Sarah, dass in der Weinberg Straße bei Frau Wiebelsberg etwas nicht stimme. Der Briefkasten quelle völlig über. Es öffne niemand. Die Pflanzen dorren vor sich hin. Müller und Thein machen sich auf den Weg. Sarah wartet vor dem Anwesen. Man schaut durch die Fenster. Nichts. Müller schlägt die Küchenscheibe ein, schwingt sich durchs vorhangverhängte Fenster. Es riecht muffig. Müller und Thein durchsuchen das Haus. Keine Spur von Wiebelsberg. Über die Terrassentür gelangt man in den Garten. Hinter dem Haus eine zwei Quadratmeter große längliche Fläche. Grashälmchen, die seit Tagen hätten gewässert werden müssen. Die feinen Triebe schon wieder gelblich geknickt. Anton, fällt es Müller siedend ein. Müller klingelt Sturm. Rollos unten. Nichts rührt sich. Thein klettert über das weiß-lackierte Gartentor und landet auf Bergen von Postsendungen und Zeitungen. Müller rennt um das Haus und klopft an den Rollläden. Die Autos stehen in der Garage, meint Thein. Müller lässt von den Streifenbeamten die Wohnungstür eintreten. Ein Heer von Schmeißfliegen erhebt sich. Verwesungsgeruch nimmt ihnen den Atem. Nichts wie raus. Müller telefoniert. Man rückt an. Die Spurensicherungsleute mit ihren weißen Anzügen bevölkern die Anwesen rechts und links der Straße. Leichensuchhunde schnuppern und werden zweimal fündig. In Antons Keller bei den Werkzeugen findet die Spusi den Hammer. Naßer bleibt verschwunden…….
Stanley, hast du wieder einen gelassen. Pansen gestrichen. Schwänzelnd kommt er unter dem Schreibtisch hervor. Hopp, raus in den Garten mit dir. Oh Mist! Schon 12.30 Uhr. Tempus fugit. Sarah kommt um 13 Uhr. Spaghetti mit Hackfleischsoße schaffe ich noch. Keks als Nachtisch. Gebongt.
Demnächst hier eine amüsante Reiseerzählung von Sarah und Nobbi an den italienischen Ortasee.